- Status: Laufendes Projekt
- Laufzeit: –
Forschungsprojekt
SONAR: Solidarität organisieren in der Nachbarschaft und am Arbeitsplatz
Fragestellung
Das Forschungsprojekt untersucht gewerkschaftliches und nachbarschaftliches Organizing als Mittel der Auseinandersetzung mit Alltagsrassismus. Entwickelt als Strategie der beteiligungs- und konfliktorientierten Aktivierung von Machtressourcen in strukturierten sozialen Gruppen, ist der Organizing-Ansatz durch rechte Ressentiments herausgefordert, die in diesen Gruppen ebenfalls Wirkung entfalten.
Methoden
Mithilfe von Methoden der rekonstruktiven Sozialforschung (qualitative Interviews, Ethnografie, aktivistische Forschung) rekonstruieren wir wie Teile der Beschäftigten und Mieter*innen ihre prekäre Arbeits- und Wohnsituation unter Rückgriff auf Alltagsrassismus und rechten Populismus deuten. Im Gegenzug wird der These nachgegangen, dass die in Arbeits- oder Mietkämpfen erlebte Solidarität und kollektive Wirksamkeit rechte Denk- und Handlungsformen schwächen oder sogar auflösen können.
Erste Erkenntnisse
In allen Untersuchungsfällen lassen sich an der sozialen Basis von Betriebsgruppen und Nachbarschaftsinitiativen ein gemeinsames materielles Interesse sowie Konflikte um Migration und Rassismus, aber auch um Geschlechterungleicheit und Klimawandel beobachten. Der erste Einblick in das empirische Material erlaubt die vorläufige Unterscheidung von zwei unterschiedlichen Perspektiven, die Organizer:innen in der Auseinandersetzung mit rechter Alltagskultur einnehmen:
- „Ganz oder gar nicht“-Ansatz: Es handelt sich dabei um eine polarisierte Herangehensweise, bei der diskriminierende Äußerungen entweder kaum thematisiert oder aber entschieden zurückgewiesen werden. Der „Ganz oder gar nicht“-Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass Konflikte vermieden werden, um den Zusammenhalt unter Mieter:innen oder Beschäftigten nicht zu gefährden. Verfolgt wird eine Politik des „Burgfriedens“, um das gemeinsame Ziel zu erreichen und eine Beziehung zu den organisierten Akteuren aufzubauen. Der Absicht nach sollen anschließend diskriminierende Haltungen problematisiert werden. Insgesamt gibt es wenig Raum für transformative Prozesse, die eine Überwindung rassistischer Denkmuster ermöglichen. Vielmehr lässt sich an den jeweiligen Diskursraum angepasstes Verhalten feststellen.
- „Der Weg ist das Ziel“-Ansatz: Diesem Ansatz nach soll bereits auf dem Weg der Organisierung Spaltungen entgegengewirkt werden, um gruppenübergreifend Solidarität zwischen Mieter:innen oder Beschäftigten herzustellen. Dieser Anspruch wird nicht dem Primärziel verbesserter Arbeits- oder Wohnbedingungen untergeordnet, sondern im Organisierungsprozess stetig mitgeführt. Die Responsivität gegenüber den Anliegen einer diversen Basis ist damit einerseits entsprechend groß. Andererseits bringt diese Strategie einen erheblichen Mehraufwand an Zeit und Ressourcen mit sich, was die Motivation und Ressourcen der Beteiligten sowie die Effektivität des Prozesses beeinträchtigen kann.
In beiden Ansätzen zeigt sich, dass die Organizer:innen ein Bewusstsein für verschiedene Formen von Spaltung und Diskriminierung haben und diese bekämpfen möchten. Sie stehen mit ihrer Herangehensweise jedoch vor dem Widerspruch zwischen Anpassungs- und Lernprozessen unter den Organisierten unterscheiden zu müssen. So stellt sich die Frage, inwieweit Aktive ihre diskriminierenden Aussagen im Beisein anderer Organizer:innen nur unterlassen oder ob ein gemeinsamer Kampf tatsächlich ein Anstoß für weitreichende Veränderungsprozesse sein kann.
Ähnliche Ambivalenzen konnten wir mit Bezug auf neue arbeitspolitische Öffentlichkeiten beobachten, die durch gewerkschaftliches Organizing hergestellt werden. Durch gesellschaftliche Bündnisse gelingt es einerseits, Ohnmachtserfahrungen und Entmündigungsgefühle aufzubrechen und eine zivilgesellschaftliche Verständigung über komplexe Lebens- und Arbeitsverhältnisse anzustoßen. Den diskursiven Raum für Beschäftigte zu öffnen, kann aber für den gewerkschaftlichen Aktivismus andererseits auch heißen, sich mit Veränderungsmüdigkeit, antipolitischen Ressentiments oder sogar handfestem Rassismus auseinandersetzen zu müssen.
Praxistransfer
Neben dem sozialtheoretischen Erkenntnisinteresse zielt das Projekt auf anwendbare Ergebnisse ab, etwa auf Bildungsmaterialien für den Erfahrungstransfer zwischen gewerkschaftlichem und mietenpolitischem Praxisfeld. Das Forschungsvorhaben arbeitet damit die gesellschaftspolitisch zentrale Rolle von gewerkschaftlicher und wohnungspolitischer Interessenvertretung bei der Stärkung der Demokratie heraus. Konkret waren die Mitarbeiter:innen an der Ausrichtung zweier Workshops für Akteur:innen aus den Anwendungsfeldern beteiligt, haben an Podiumsdiskussionen teilgenommen, ihre Forschung auf einschlägigen Tagungen und Konferenzen präsentiert und an verschiedenen Orten publiziert.